Liberté,
SENÉGALité,
Fraternité
UN RÉCIT DE VOYAGE DE GERALD BENESCH

Das tägliche Brot

Trockenen Rotz an der Nase, keine Schuhe, stark verschmutzte Kleidung – das haben ein Dutzend Buben zwischen sechs und zwölf Jahre alt hier an den Ecken der Hotels und Bars der Hauptinsel von Saint Louis gemeinsam. Unklar ist, ob sie einfach nur vernachlässigt sind oder überhaupt auf der Straße leben müssen. An dem Eck, an dem ich gerne meinen morgendlichen Kaffee um 15 c trinke, sind es jedenfalls meist die gleichen denen ich gerne das was ich an Münzen an mir trage gebe. Zwischendurch bemerke ich natürlich dass sie sich damit ohne Intervention von Erwachsenen vor allem Chips und Kekse kaufen. Heute hat einer der größeren Buben ein halbes Baguette bei sich und deutet an, dass er gerne eine Füllung dafür hätte. Nachdem mich mein morgendlicher Weg auch oft zur Dame mit dem improvisierten Fastfood-Tisch führt, nehme ich ihn mit.

Die Dame hat sich schon gemerkt, dass ich mir die lokale Brötchen-Luxusvariante mit einem Omelette aus zwei Eiern, einem Hauch von Käse, Senf, Ketchup, Chilisauce wünsche die ich einem Kunden vor mir abgeschaut hatte. Ich deute auf den Buben mit der Bitte sein Brot zu befüllen und auf seinen Wunsch hin bekommt er eine Ladung tomatenmarkgefärbter Spaghetti hinein, mit einer dicken Spur Senf. Heinz Ketchup hat bei den Buben eindeutig nicht gepunktet!

Iphigenie in Saint Louis

„Goutte de lait/Dispensaire“ steht auf einer Holztafel neben der Eingangstür zu einem der vernachlässigten Kolonialbauten auf der zweiten Insel. Hmm, denke ich mir, anscheinend eine Milchverteilung? Also gehe ich einfach rein, am Gang vor einem kleinen grünen Innenhof fragt mich eine lokale Frau was ich denn suche, ich wiederhole den Ansatz und werde zu einer Tür, zu einem Büro gleich daneben geführt – in dem eine Frau mit indischen Gesichtszügen in einem hellblauen, alltagstauglichen Schwesterornat sitzt. Beide Vermutungen stimmen und wir können gleich auf Englisch weitersprechen. Ja sie kommt aus Südindien, aus Pondycherry, aus einer italienisch-katholisch missionierten Gemeinde. Sie erklärt mir lächelnd, dass hier längst keine Milchausgabe mehr stattfindet, dies der Ursprungsname ist, als in den 1890er-Jahren man die Wichtigkeit von Milch für Ernährung von Kindern erkannte und Pasteurisation möglich wurde. Dieser „Tropfen Milch“ ist inzwischen symbolisch, denn es handelt sich um eine Krankenstation zur Betreuung von Müttern und Kindern, mit angeschlossenem Kindergarten und Volksschule. Unser Gespräch meandert zwischen der traurigen Notwendigkeit dieser Institution in einem Land das sich augenscheinlich nicht sehr um Standards von Kinderentwicklung kümmert, die vielen bettelnden Buben sind der sichtbarste Teil davon. 

Hier wird also Frauen und Kindern bei Bedarf geholfen: in der Krankenstation, mit Strukturen von geregelten Mahlzeiten, Betreuung und Unterricht werden auch angeboten. Von einem Orden, der eigentlich in Frankreich sitzt: der Orden „Saint Joseph de Cluny“ wurde im frühen 19. Jahrhundert von Anne Marie Javouhey gegründet. Sie war selbst in einige Orden ein und wieder ausgetreten gewesen und bekam die päpstliche Erlaubnis einen eigenen zu gründen. Die ersten Nonnen waren acht Frauen, drei davon ihre eigenen Schwestern. Ihre Familie hatte bereits Priester geholfen, die im Rahmen der französischen Revolution teilweise verfolgt wurden wenn sie nicht konform waren. Diese Grundtendenz zu helfen bewahrte sie und ließ sie ein Leben lang für Kinder und deren Wohlergehen arbeiten. Die erste Station außerhalb Frankreichs war dann tatsächlich hier in Saint Louis, der Ausgangspunkt für weitere Ordenshäuser von Westafrika bis nach Asien. Heute zählen die Schwestern von St. Joseph von Cluny etwa 3000 Mitglieder, gehören etwa 70 verschiedenen Nationalitäten an und dienen in mehr als 50 Ländern. Mehr als ein Drittel sind aus Indien, fast ein Fünftel aus Afrika oder Madagaskar. Zwischendurch kommt ein kleiner Bub in grauer Schuluniform vorbei, mit bunter, schwerer Schultasche. Er soll mich auf Englisch begrüßen und tut es sehr, sehr schüchtern. Ich habe noch weitere schöne Momente mit dieser Dame, meist geht es um die Hilfe für Kinder der unteren Schichten in Senegal. Ihre Antwort auf meinen Scherz wo denn Krishna und Hanuman in ihrem Leben sind, als Inderin, meint sie humorig lächelnd: „Die habe ich zurückgelassen“. Die italienischen Missionare sind immer noch Teil von ihr, in Form ihres wunderbaren Namens: Iphigenia! Die Anzahl dieser helfenden Ordenshäuser weltweit: Europa 94, Afrika 68, Oceanien 24, Nord&Süd-Amerika 80, Indischer Ozean 35, Asien 110

Pelikan 1

Auf dem Weg zum Fischmarkt radle ich am dichtest bewohnten Teil der zweiten Insel von Saint Louis – keine lieblichen alteuropäischen Häuser mit Balkon wie auf der anderen Insel, sondern Lehmbauten und halbfertige Ziegelmauern sind hier der Standard. Dazwischen Kinder die in Gruppen herumlaufen, sich zanken oder oder auf ihr halbes Baguette bei der Dame warten, welche diese mit einem Potpourri von Saucen aus Aluminiumtöpfen und abschließend Senf und scharfer Soße den ganzen Tag über produziert. Dann, plötzlich, dieser Pelikan der da einfach auf der Straße steht, kaum den Pferdefuhrwerken, Fahrradfahrern und Passanten ausweichend. Natürlich denkt man: „Aha, hat sich verflogen/aha, ist verletzt oder hat sonst ein Problem.“ Tage später erfahre ich, dass anscheinend ein Fischer ein fast fertig ausgebrütetes Ei aus einer der umgebenden Pelikankolonien nach Hause mitnahm – und eben dieser, jetzt große Vogel daraus schlüpfte. Ein Pelikan ist keine Graugans, aber das von unserem österreichischen Starforscher Konrad Lorenz beschriebene postnatale Prägen fand auch hier statt: der Pelikan wuchs mit den in den meisten Gassen angebunden herum stehenden Schafen auf – und scheint sich für ein solches zu halten, der Herde zugehörig. Deswegen heißt er im Ort: „le Pelican-Mouton“.

Pelikan 2

Barbara, eine Schweizer Radlerin die seit Monaten unterwegs ist, durch ganz Europa bis hier herunter nach Senegal durch ganz Nordafrika, erzählt mir von ihrem Besuch in einem nahen Vogelreservat. Der Führer erklärt ihr anscheinend, dass Pelikane nicht nur lebenslang treu sind, sondern auch, dass sie immer zwei Eier legen, aus denen immer ein weibliches und männliches Tier schlüpft. Diese werden wieder zu einem Pärchen und bleiben es lebenslang. Die Dame hat sich zwar schon vor Ort irritiert gezeigt von dieser Beschreibung, also „von wegen kein Genpool/wo kommen die anderen Pelikane her“, der Guide blieb aber bei seiner Beschreibung.
Einzig die Sache mit der Monogamie stimmt!

Schwarz-weiß 1

Man kennt sie ja, in Notfällen die moderne Kulturtechnik des improvisierten notieren von Telefonnummern oder Ahnlichem auf dem Unterarm, in der Handfläche. Als ich einen jungen Mann auf dem Fischmarkt etwas in dieser Fasson festhalten sehe, fällt es mir erst im Nachhinein auf, dass er auf seiner schwarzen Haut viel geringere Chancen auf gute Lesbarkeit hat.

Schwarz-weiß 2:

In einer Sammlung afrikanischer Erzählungen habe ich einmal diese Erklärung gefunden, warum Afrikaner weiße Fußsohlen und Handflächen haben: An einem Wasserloch treffen sich zwei von Schlamm und/oder Schmutz schwarze Menschen. Sie haben wenig Wasser zur Verfügung aber der eine schrubbt sich rasend schnell den Dreck von der Haut, wird komplett weiß. In seiner Gier hat er letztendlich ganz wenig Wasser in einer Pfütze zurückgelassen – die genügte seinem Weggefährten gerade zum Reinigen von Fußsohlen und Handflächen…

Bildrecht

Als ich im Bus einfach, ohne zu schauen nach hinten knippse, ging das Echauffieren eines Burschen in der Menge an Mitreisenden – er bakam mein Handy mit – seeehr weit. Mit Gebrüll beschimpfte er mich, läßt nichts gelten wie “bin Tourist, mag das Land, kann ja nicht alle im Bus fragen etc” . Dann verlangte er immer nach der
Gendarmerie – und so war es auch: die Unruhe im Bus (ich weiss nicht zu wem die Mitfahrenden hielten) wurde dem Fahrer zuviel und auf Drängen des Ungewollt-Fotografierten blieb er im nächsten Dorf tatsächlich stehen, vor der Polizeistation. Inzwischen hatte ich längst vor den Augen des Aufgeregten das Bild gelöscht, wollte ihm nicht das Händy geben weil er mehr davon vermutete. Er hätte Schafe, Friseurschilder und eine schlafende Schönheit vom Bus gefunden.

Also, rein ins (super chaotische) Büro des Postenvorstandes, der in lokaler Sonntagstracht fragte was denn los sei, zum Glück auch auf Englisch. Er belehrte mich danach vorher brav zu fragen ob ich fotografieren darf, eh klar. Ich sagte ‘sorry’ und ‘nie wieder’. Der Bursche blieb aufgeregt und ich bekam mit/wieder die Erinnerung hochgespült, dass ja “Löschen” nur eine von zwei Ebenen bedient: im System des iPhones bleibt das Bild sehr wohl noch 30 Tage abrufbar. Das verstehend gab ich dem Herrn Komissar sehr wohl mein Händy und gemeinsam suchen wir die Funktion der tatsächlichen Löschung. Das wars, der Bursche siehts, zufrieden, der Bus kann weiterfahren. Hätte auch ganz anders ausgehn können: auf der Weiterfahrt gab es noch einen lauten Streit einer Gruppe im Bus und eine Schlägerei von Aussteigenden.

Liberté, égalité, fraternité

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, ist das nationale Motto Frankreichs – und der Republik Haiti – und ein Beispiel für ein dreigliedriges Motto. Obwohl es seinen Ursprung in der Französischen Revolution hat, war es damals nur ein Motto unter anderen und wurde erst in der Dritten Republik Ende des 19. Jahrhunderts institutionalisiert. Die französische Trikolore gilt als Verkörperung dieser Prinzipien der Revolution. Kurz nach der Revolution wurde das Motto aber oft noch als „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder Tod“ geschrieben. „Tod“ wurde später fallen gelassen, da es zu stark mit den Auswüchsen der Revolution in Verbindung gebracht wurde. Bereits 1789 wurden andere Begriffe wie „la Nation, la Loi, le Roi“ (Die Nation, Das Gesetz, Der König) oder „Union, Force, Vertu“ (Einheit, Stärke, Tugend) verwendet Slogan, der zuvor von Freimaurerlogen verwendet wurde, oder „Force, Égalité, Justice“ (Stärke, Gleichheit, Gerechtigkeit), „Liberté, Sûreté, Propriété“ (Freiheit, Sicherheit, Eigentum) usw. Einige ehemalige Kolonien der Französischen Republik, wie Haiti, Tschad, Niger und Gabun, haben ähnliche nationale Mottos mit drei Wörtern übernommen. Tschad zum Beispiel „Einheit, Arbeit, Fortschritt“ / Unité, Travail, Progrès. Seit ihrer Gründung 1871 ist „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ auch das Motto der Sozialdemokratischen Partei Dänemarks.
Diese früher florierende Hafen- und Hauptstadt haben die Franzosen auchzurückgelassen als sie 1960 das Land an die eigene Regierung übergaben. Und seither ist baulich kaum etwas passiert. „Romantisch“ könnte man auch dazu sagen.

Die Vermieterin bereitet die von mir morgens am Markt gekauften Langusten und Schrimps zu – auch mit Senf! / Ein altes Kino / Fischmarkt, Einpacken für den LKW-Versand / Mädchen in Schuluniform / Gemieteter Drahtesel / Chateau Rouge Kulturzentrum

Saint Louis klingt nicht bloß nach New Orleans, es sieht auch so aus… ein paar Erinnerungen an Massawa in Eritrea oder die hier vorgelagerten Capverden schleichen sich auch an. Ein super entspanntes Städtchen, auf zwei Sandbänke verteilt die Altstadt, mittels Brücken mit dem Festland verbunden.

Die Vermieterin bereitet die von mir morgens am Markt gekauften Langusten und Schrimps zu – auch mit Senf! / Ein altes Kino / Fischmarkt, Einpacken für den LKW-Versand / Mädchen in Schuluniform / Gemieteter Drahtesel / Chateau Rouge Kulturzentrum